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Interview mit Martin Bailey, CTO bei Global Graphics

Office-Anwender werden XPS auch in die grafische Industrie tragen

Als Chief Technical Officer von Global Graphics ist Martin Bailey einer der Väter von XPS. In unserem Interview gibt er sich überzeugt, dass in der grafischen Industrie über kurz oder lang kein Weg an diesem neuen Microsoft-Standard vorbeiführen wird.

Publisher: Wie kam es dazu, dass Global Graphics XPS mitentwickelte?

Microsoft startete im Jahr 2003 mit der Entwicklung von XPS. Da man in Redmond wenig Erfahrung mit Seitenbeschreibungssprachen hatte, zog man uns im Auftragsverhältnis als Berater bei. Als dann die Spezifikationen vorlagen, bekamen wir zusätzlich den Auftrag, ein XPS-Referenz-RIP als Proof of Concept für die Tauglichkeit dieser Technologie zu implementieren. Dieses Referenz-RIP ist heute über die Microsoft-Website frei verfügbar.

Gefährden Sie damit nicht Ihr eigenes Kerngeschäft, das ja gerade darin besteht, Ihre RIP-Technologie an Anbieter von Ausgabegeräten und -Workflows zu lizenzieren?

Nein, denn das Referenz-RIP ist als Proof of Concept nicht auf Performance optimiert. Wir werden nun die ganze XPS-Funktionalität in unsere bewährten RIP-Lösungen – bekannt unter den Produktbezeichnungen Harlequin und Jaws – implementieren und unsere Lösungen damit noch attraktiver machen. Zudem werden wir reine XPS-RIP-Implementierungen an Printerhersteller lizenzieren.

Also ein ähnliches Geschäftsmodell wie es Adobe mit ihren Postscript-RIPs und nun mit der PDF Print Engine kennt.

Ja genau! Auch wir sind ja schon lange in diesem Business tätig, hatten dabei aber immer das Handicap, neben Adobe als Clone-Anbieter wahrgenommen zu werden. Mit XPS ist das jetzt eine neue Situation. Dank der aktiven Beteiligung an der Konzeption und Entwicklung von XPS befinden wir uns in einer sehr bevorzugten Position, wenn es um das Verständnis und die Handhabung geht. Und vergessen wir nicht: Von den Spezifikationen her kann XPS alles, was PDF kann, speziell auch in Hinblick auf die grafische Industrie.

Sie versprechen sich also dank XPS bezüglich Ihren RIP-Lösungen einen Vorsprung gegenüber Adobe?

Korrekterweise müsste man sagen, dass wir mit XPS unseren Vorsprung ausbauen. Denn schon heute bieten wir mehr als Adobe. Unser Harlequin-RIP verarbeitet schon seit langem Postscript und PDF nativ. Bei Adobe gibt es nur entweder ein Postscript- oder ein PDF-RIP. Wir implementieren jetzt im Laufe des Jahres auch noch die XPS-Funktionalität in unsere Harlequin-Lösung und machen es damit zu einem universellen RIP, wie es sonst niemand anbieten kann.

Ist denn in der grafischen Industrie das Bedürfnis nach einem nativen XPS-RIP überhaupt da? Wie unsere Tests gezeigt haben (Artikel «Brücke zwischen Office und Prepress» im Publisher 6-2006), lässt sich XPS ja sehr elegant in PDF/X konvertieren. Man braucht also nur diese Konvertierung im Workflow zu implementieren und schickt dann wie gewohnt PDF/X-Daten an das RIP.

Sie haben recht: PDF ist in der grafischen Industrie fest etabliert und man hat nicht auf etwas Neues wie XPS gewartet. Man wird hier wenn immer möglich versuchen, an den bewährten PDF-Workflows festzuhalten. XPS wird sich aber bei den Kunden der Druckdienstleister sehr rasch verbreiten und diese werden XPS-Dokumente in die grafische Industrie hineintragen. Und da ist eine Konvertierung immer auch mit einem zusätzlichen Aufwand und vor allem mit einem gewissen Risiko behaftet, dass sich Fehler einschleichen. Deshalb wird eine native XPS-Verarbeitung längerfristig ein wichtiges Feature einer RIP-Lösung sein.

Sie gehen in Ihrer Argumentation von einer raschen Verbreitung von XPS in den Unternehmen aus. Aber auch hier ist doch PDF bestens etabliert. Wieso sollen die Unternehmen nun ihren Dokumentenworkflow von PDF auf XPS umstellen?

PDF hat auch hier einen grossen Vorsprung, das ist richtig. Aber mit Windows Vista wird sich XPS sehr rasch verbreiten. Und es ist nicht auszuschliessen, dass Microsoft der XPS-Funktionalität über ein Service-Pack auch auf bestehenden Windows-XP-Systemen zu einer weiten Verbreitung verhilft. Für die Unternehmen hat XPS gegenüber PDF den Vorteil, dass es nicht zusätzlich installiert werden muss und dass bezüglich Lizenzen und Wartung nicht ein Drittanbieter ins Spiel kommt. Anders als bei PDF ist hier alles ein Teil des Betriebssystems. Die Anwender in den Unternehmen werden somit im grossen Stil XPS-Dokumente generieren, austauschen, archivieren, auf den Büroprinter schicken, zum Copyshop bringen und schliesslich auch in die grafische Industrie tragen.

Wir haben bisher bloss von den Dokumentenformaten XPS und PDF gesprochen. Nun ist es eine grosse Stärke von PDF, dass es rundherum ein ganzes Ökosystem von Werkzeugen und Lösungen gibt, allen voran die Acrobat-Softwarefamilie. Wie sind da die Perspektiven bei XPS; Wird es einen mit Acrobat vergleichbaren XPS-Editor geben?

Wir arbeiten im Moment im XPS-Umfeld an einer ganzen «E-Document-Library». Diese wird eine Konvertierung zwischen den verschiedenen Seitenbeschreibungssprachen erlauben; zuerst von XPS zu PDF und später auch von PDF zu XPS. Desweiteren sind Funktionen zur Bearbeitung der Seiten und Objekte geplant. Dies beinhaltet den Zugriff auf die Bilder und den Text, das Drehen von Seiten, das Einfügen von Lesezeichen, Anmerkungen, Miniatur­ansichten und vieles mehr. Auch ein Import von XPS in Autorenwerkzeuge wird damit möglich werden. Einen eigentlichen «Acrobat» für XPS wird es im Moment allerdings nicht geben.

Was heisst «im Moment nicht»? Arbeitet man bei Global Graphics an einem XPS-Editor mit einer zu Acrobat vergleichbaren Funktionalität oder wird so etwas direkt von Microsoft kommen?

Sorry, dazu darf ich im Moment nichts sagen!

OK, kehren wir zu den heute verfügbaren Werkzeugen von Global Graphics zurück! Da treten Sie ja mit der Jaws-Suite direkt gegen Acrobat an. Wie läuft da das Geschäft?

Unsere Jaws-PDF-Tools bieten eine gute Funktionalität zu einem sehr attraktiven Preis. Mit diesem Vorsprung bezüglich Preis-/Leistungsverhältnis konnten wir bereits sehr viele Grosskonzerne als Kunden gewinnen.

Können Sie da konkrete Beispiele nennen?

Zu unseren Kunden gehören international tätige Unternehmen wie Quark, JustSystem, die Trinity Mirror Group, Marathon Oil und - ihren Lesern wohl eher ein Begriff als die erstgenannten - die Schweizer Bank UBS!

Herr Bailey, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen und Ihrem Unternehmen weiterhin viel Erfolg!

Interview: Martin Spaar

Martin Bailey

Martin Bailey, Chief Technology Officer bei Global Graphics, hat die Entwicklung von Global Graphics Technologien im Bereich Postscript, PDF und XPS entscheidend mitgeprägt. Er vertritt seine Firmen in verschiedenen Standardisierungs-Gremien und ist zusammen mit Stepahn Jaeggi einer der aktivsten Mitwirkenden an der Erarbeitung der PDF/X-Standards in der ISO. In jüngster Zeit hat sein PDF/X FAQ (zu finden bei www.pdfx-ready.ch)grosse Beachtung gefunden. Diese gut verständliche Einführung in das Thema PDF/X erörtert grundsätzliche Aspekte genauso wie Fragen zu Aktualisierungen und den derzeit anstehenden Weiterentwicklungen.

Martin Bailey in Winterthur

Die Zeitschrift Publisher konnte Martin Bailey als Referent für das XPS/PDF-Forum am 8. Mai in Winterthur gewinnen. Mit Jim King, dem «PDF-Architekt» von Adobe, Stephan Jaeggi und weiteren Top-Referenten ist diese Konferenz absolut erstklassig besetzt und bietet Insider-Informationen aus erster Hand. So wird Jim King in Winterthur erstmals in Europa öffentlich über «Mars» sprechen, das XML-basierte PDF (siehe Seite 22). Neben diesen hochkarätigen Seminaren bietet das Programm Praxis-Workshops, welche zum Beispiel zeigen, wie sich XPS bei der Übernahme von Kundendaten schon heute gewinnbringend einsetzen lässt, indem es als Brücke von der Office-Welt zu den bewährten, PDF-Workflows der grafischen Industrie dient. Weitere Infos und Anmeldung:

www.publisher.ch/events